Brian Cronin, Einführung zum Denken Lonergans

1. Teil I - Denken: direkte und inverse Einsicht
1. Suche nach den Grundlagen
3. Erfahrungsmuster


1.1.3 Erfahrungsmuster

3. Erfahrungsmuster

Auch nur ein flüchtiger Blick auf unsere mentalen Tätigkeiten enthüllt uns ein Chaos an Phantasien, Vorstellungen, Wünschen, Erinnerungen, Ängsten, Hoffnungen, Gefühlen, Zuneigungen, Symbolen und Ideen. Einige Übungen zu Beginn dieses Kapitels werden dir helfen, dir dieses verwirrenden und wuchernden Durcheinanders von Tätigkeiten in unserem Kopf bewusst zu werden. Eine literarischer Technik, "Bewusstseinsstrom" genannt, wird von modernen Autoren häufig verwendet, um diese verwirrende, die Polyphonie unseres Bewusstseins konstituierende Bewegung von miteinander verbundenen Elementen einzufangen. James Joyce und William Faulkner haben uns die vielleicht lebhaftetesten Darstellungen dieses inneren Dramas geliefert.[1] Unsere innere Erfahrung umfasst eine Vielzal von Tätigkeiten, und es wird unsere erste Aufgabe sein, sie so zu entwirren, dass wir uns auf die das Denken und Erkennen bezogenen Tätigkeiten konzentrieren können.

Was haben wir für eine Erfahrung mit diesem "Bewusstseinsstrom"? Ist er chaotisch? Sind wir unseren Instinkten unterworfen? Können wir dieses Durcheinander entwirren? Unser Ziel in diesem Textabschnitt ist es, gewisse Erfahrungsmuster auszumachen, das heißt, typische Konstellationen von Tätigkeiten, die für gewöhnlich zusammen auftreten. Wir müssen diese verschiedenen Muster aufweisen, sodass wir jenes Muster erkennen und herauslösen können, an dem wir am meisten interessiert sind, und zwar an jenen Tätigkeiten, die auf das menschliche Verstehen bezogen sind. Unter Muster verstehen wir nichts anderes, als dass einige Tätigkeiten so mit anderen in Wechselbeziehung stehen, dass sie das bilden, was wir Gruppe nennen könnten. Die Gruppen bilden nicht abgeschlossene Kategorien und berücksichtigen eine gewisse Flexibilität und Überschneidung[2].

Es lassen sich biologische Erfahrungsmuster erkennen, und zwar eine Gruppe von Tätigkeiten, Absichten und Gefühlen, die eine gewisse Einheit bilden, insofern der Mensch als ein Tier die Grundinstinkte, Sinneswahrnehmungen und Bedürfnisse höherer Tiere ererbt hat. Die höheren Tiere haben sowohl innere als auch äußere Sinne, die fünf äußeren Sinne, als auch ein rudimentäres Gedächtnis, Vorstellungsvermögen und Instinkt. Tiere können auf Reize reagieren und Tätigkeiten auf ein Ziel hin koordinieren, zum Beispiel auf den Nestbau oder Beutefang hin. Die Ziele erhalten ihre Bestimmung von den Notwendigkeiten des Überlebens: Nahrungssuche, Selbsterhalt, Erhaltung der Art und Sicherheit. Konrad Lorenz hat die Agression von Graugänsen untersucht und die Beziehung der Agression zum Paarungsverhalten, zur Selberhaltung, Hackordnung und zum Territorialverhalten[3]. Im Schlusskapitel stellt er die Frage, ob seine Entdeckung an Graugänsen auf den Menschen hin anwendbar ist, und er kommt zum Schluss, dass dies zutrifft. Wir sind Tiere; wir haben mit ihnen dieselben äußeren und inneren Grundsinne gemeinsam; wir müssen dieselben Probleme des Überlebens, der Sicherheit und Arterhaltung bewältigen wie Tiere. Es gibt also ein Muster an Tätigkeiten auf jener Ebene, die wir gemeinsam mit den Tieren haben.

Es lässt sich weiter ein interpersonales Erfahrungsmuster erkennen. Es handelt sich um Tätigkeiten und Gefühle, die typisch für den Menschen in seinem Umgang mit anderen Menschen sind. Der Durchschnittsmensch braucht vermutlich um die zwanzig Jahre an Sozialisation, bevor er als reif, verantwortlich und als autonome Person in der Gesellschaft gelten kann. Das meiste davon wird von den Eltern und Geschwistern durch Nachahmung und Zurechtweisung erworben, durch den Druck von Altersgenossen, durch Freundschaft, Liebe und Hass. Wir sind durch all diese Beziehungsarten geprägt; und wir werden unsererseits andere durch die Weise formen, wie wir zu ihnen stehen. Wir sind durch Sozialisation in unsere Familie und das lokale Gemeinwesen hineingewachsen und durch Enkulturation in unsere ethnische Gruppe und Nation. Es gibt eine große Vielfahlt an verschiedenen Beziehungsarten; Mann und Frau erfahren sich jeweils anders: als Fremde, als ein verlobtes Paar oder als Zelebranten einer goldenen Hochzeit. Ein Kind ist den Eltern in einer anderen Weise gegenwärtig als einem Fremden. Die Interpersonalität sorgt für Farbe, Ton und Gefühl in unserem Verhalten.

Es lässt sich weiter ein interpersonales Erfahrungsmuster erkennen. Es handelt sich um Tätigkeiten und Gefühle, die charakterisch für Menschen sind, die in Bezug zu anderen Menschen stehen. Der Durchschnittsmensch braucht vermutlich um die zwanzig Jahre an Sozialisation, bevor er als reif, verantwortlich und als autonome Person in der Gesellschaft gelten kann. Das meiste davon wird von den Eltern und Geschwistern durch Nachahmung und Zurechtweisung erworben, durch den Druck von Altersgenossen, durch Freundschaft, Liebe und Hass. Wir sind durch all diese Beziehungsarten geprägt; und wir werden unsererseits andere durch die Weise formen, wie wir zu ihnen stehen. Wir sind durch Sozialisation in unsere Familie und das lokale Gemeinwesen hineingewachsen und durch Enkulturation in unsere ethnische Gruppe und Nation. Es gibt eine große Vielfahlt an verschiedenen Beziehungsarten; Mann und Frau erfahren sich jeweils anders: als Fremde, als ein verlobtes Paar oder als Zelebranten einer goldenen Hochzeit. Ein Kind ist den Eltern in einer anderen Weise gegenwärtig als einem Fremden. Die Interpersonalität sorgt für Farbe, Ton und Gefühl in unserem Verhalten.

Es lässt sich auch ein ästhetisches Erfahrungsmuster erkennen. Es ist die Freude am Wahrnehmen und an einem Verstehen, das von der Strenge der Logik und Verifizierung befreit ist und sich rein vom Streben nach Schönheit und Harmonie leiten lässt. Es ist ein Spiel mit Bildern, Kontrasten, Einheiten und Dissonanzen, sei es auf dem Gebiet der Farbe, des Tones oder der Gestalt. Es ist der Unterschied von Dichtung im Gegensatz zu einer Übersetzung, von Literatur im Gegensatz zu Geschichte, von Malerei im Gegensatz zum Anfertigen einer Landkarte. Es umfasst Gefühle, Gespür, Fertigkeiten, Intelligenz, Inspiration und Reinigung. Wir alle kennen die Erfahrung der Freude an Musik, die befreiende Wirkung eines Spiels nach der Arbeit, die Schönheit eines prachtvollen Sonnenuntergangs. Es ist diese Freiheit für Freude und Schönheit, die das ästhetische vom intellektuellen Erfahrungsmuster unterscheidet.

Es lässt sich ein mystisches Erfahrungsmuster erkennen, in dem die Akte der Verehrung, des Gebetes, der Anbetung und Liebe, die karitativen Tätigkeiten, die geistliche Lektüre und Meditation aufeinander bezogene Tätigkeiten bilden. Es geht um die Ausrichtung am Mysterium, an Gott, dem Höchsten, nicht auf dem Weg des Denkens, sondern auf dem Weg der Verehrung und Anbetung, dem Verharren in Liebe und Gebet. Das mystische Muster kann unserem Leben äußerlich sein oder aktiv gepflegt werden. Im Mönch oder Mystiker ist es gewöhnlich das vorherrschende Muster.

Es ließen sich andere mögliche Erfahrungsmuster erkennen, wir wollen uns aber auf jenes Muster konzentrieren, das uns am meisten interessiert, nämlich das intellektuelle Erfahrungsmuster. Hier wollen wir jene Grundoperationen herauslösen, die miteinander in Wechselbeziehung stehen und unser Verstehen und Erkennen konstituieren. Es ist das Muster jener Tätigkeiten, in denen es um das Fragen, Verstehen und Lernen geht, um das Forschen, Berichteschreiben, Sammeln von Informationen und Feststellen von Tatsachen. Es fängt mit dem Fragen an und geht unter dem Einfluss weiteren Fragens in eine unnachgiebige Suche nach Wissen und Wahrheit über. Das intellektuelle Erfahrungsmuster ist keine einzelne Tätigkeit, sondern eine Gruppe von miteinander in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, in die wir auch das Sehen und Vorstellen miteinbeziehen, das Sich-Erinnern, In-Beziehung-Setzen, Verstehen, Klassifizieren, Begriffe-Bilden, Sich-Ausdrücken, Definieren, Feststellen, Bejahen und Verneinen. Es wird unsere Aufgabe sein, uns auf dieses Erfahrungsmuster zu konzentrieren, es von der Myriade anderer psychischer Vorgänge und Impulse herauszulösen und schließlich zu definieren, wie die verschiedenen Tätigkeiten dieses Musters sich verbinden, um die Einheit eines einzigen Erkennens zu bilden. Unser Interesse gilt zunächst, dieser bestimmten Gruppe von Tätigkeiten in der eigenen Erfahrung bewusst zu werden und es von anderen psychischen Aktivitäten herauszulösen.


 

[1] FN 19

[2] Insight, 204-211. There is some flexibility in slicing the apple as regards patterns of experience and so my account differs slightly from that of Lonergan.

[3] Konrad Lorenz, On Aggression, (New York: Harcourt, Brace and World, 1966).

 

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